Patricia Elaine Oakley
Wir sind alle ein Teil des Gewebes des Lebens
Wie können wir wieder zueinanderfinden, Brücken bauen über manchmal scheinbar unüberwindbare Gräben, wieder in Verbindung kommen? Dabei sind transhumanistische Lösungsstrategien zur Überwindung von Polaritäten und zur Lösung der Probleme unserer Gesellschaft nicht geeignet.
Wie der Transhumanismus Spaltung befeuert
In den letzten Pandemie-Jahren mussten wir als Einzelne und als Gesellschaft erleben, wie schnell sich Gräben auftun in der Gesellschaft, der Familie, unter Freund*innen und Kolleg*innen. Auch innerhalb unseres feministischen und die Welt aus einem ganzheitlichen Blick betrachtenden Berufsverbandes für Heilpraktikerinnen und in unserem Verein zur Förderung der Frauengesundheit erwies sich eine gemeinsame Positionierung zum Umgang mit der Pandemie als Illusion. Wie können wir wieder zueinanderfinden, Brücken bauen über manchmal scheinbar unüberwindbare Gräben, wieder in Verbindung kommen? Dabei sind transhumanistische Lösungsstrategien zur Überwindung von Polaritäten und zur Lösung der Probleme unserer Gesellschaft nicht geeignet.
Am 19. Juni 2022 wurde eine Dokumentation im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt mit dem Titel „Utopia – Irre Visionen im Silikon Valley“. Dabei wurde ein kleiner Einblick gegeben in eine Denkweise und Praxis, die das Leben der Menschheit schon sehr viel mehr bestimmt, als uns allen bewusst ist. Konkret ging es um die von Tesla-Chef und Multimilliardär Elon Musk gegründete Firma Neuralink. In dieser Firma wird daran experimentiert, Menschen spinnwebenfeine Sonden ins Gehirn zu transplantieren, um ein individuelles menschliches Gehirn mit anderen Gehirnen beziehungsweise mit künstlicher Intelligenz zu vernetzen. In der Außendarstellung zeigen sich sowohl Musk als auch Neuralink als um die Menschen und ihr Wohlergehen besorgt. So wird beispielsweise kolportiert, es sei das Bemühen von Neuralink, Menschen, die an Parkinson oder perspektivisch an ALS erkrankt sind, mit diesem Verschmelzen von Mensch und Maschine zu helfen. Die Idee, den Menschen zu verbessern mittels einer Verknüpfung mit künstlicher Intelligenz, wird Transhumanismus genannt.
Was steckt hinter dem Begriff Transhumanismus?
Transhumanismus ist eine philosophische Denkrichtung, die die Grenzen der menschlichen Möglichkeiten sowohl intellektuell als auch psychisch und physisch durch den Einsatz technologischer Verfahren und künstlicher Intelligenz erweitern will. Das Ziel ist die Optimierung des Menschen durch den Einsatz von Technologie und Pharmakologie über seine biologische Grenze hinaus. Als großes Ziel wird benannt die genetische Verbesserung der Spezies Mensch und die Überwindung unserer Sterblichkeit. Die transhumanistische Ethik ist eine utilitaristische, die das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl an Menschen anstrebt.
Aber da beginnt die Crux: Die Transhumanist*innen definieren, was Glück bedeutet, und sie definieren auch, wer zur größtmöglichen Zahl glücklicher Menschen dazugehören darf. In ihren Veröffentlichungen sprechen sie davon, dass dazu die Weltbevölkerung auf maximal 1,2 Milliarden Menschen begrenzt werden müsse.1 Wie diese Reduzierung erreicht werden soll, dazu hüllen sie sich in Schweigen. Aber es gab in der Vergangenheit vom Westen finanzierte Bevölkerungsprogramme in Indien, Peru und Brasilien, welche großes Leid über die in prekären Verhältnissen lebende Bevölkerung brachten. Solche Programme bestanden und bestehen unter anderem aus Zwangssterilisierungen und Spätabtreibungen (teilweise bis kurz vor dem Geburtstermin) gegen den Willen der Schwangeren.2 Das maximale Glück für die maximal große Gruppe von Menschen bezahlen insbesondere Menschen aus ehemals kolonialisierten Ländern und dort die Ärmsten der Armen.
Biologische Grenzen überwinden
Transhumanist*innen definieren, dass Krankheit und Tod verabscheuungswürdige und zu überwindende Zustände sind und die genetische Verbesserung des Menschen mittels Eingriffe in die Keimbahn ein probates Mittel sei. Sie streben an, zukünftig die Geburt neuer Erdenbürger*innen von vornherein nicht dem Zufall zu überlassen und mit Reproduktionsmedizin und der Genschere CRISPR-Cas von Anfang an eine „verbesserte Version des Menschen“ zu erschaffen. Einer der Begründer des Transhumanismus, Max More, war nicht von ungefähr ein großer Anhänger des 1844 geborenen Philologen und Philosophen Friedrich Nitzsche.3 Dieser erklärte die Überwindung der biologischen und geistigen Grenzen des Menschen und die Entwicklung des Übermenschen zur Notwendigkeit. Damit kann man ihn als Vater der transhumanistischen Philosophie betrachten.
2018 wurden in China im Reagenzglas erzeugte Zwillingsmädchen geboren, deren Erbgut durch die CRISPR-Cas-Methode4 verändert wurde, mit der Begründung, dass so die HIV-Infektion ihres Vaters nicht an sie weitergegeben würde. Der verantwortliche Forscher wurde ein Jahr später verurteilt, vermutlich damit die chinesische Regierung mit der Aburteilung des Forschers nach außen hin ihr Gesicht wahren konnte. Denn obwohl das Credo war, einem an HIV-erkrankten Vater zu eigenen Kindern zu verhelfen, führte dieser gentechnische Eingriff weltweit zu einem Aufschrei. Es ist seit längerem möglich, durch antivirale Medikamente die Viruslast bei einem erkrankten Menschen so herunterzudrücken, dass die HIV-Erkrankung nicht weitergegeben wird, und das war laut Presse bei dem Vater der Zwillinge auch der Fall gewesen. Wahrscheinlicher war es eine Verlockung für den Forscher, gottähnliche Macht über Leben oder zukünftiges Leben zu haben. Es ist nämlich völlig offen, ob die Genschere, bei der es sich um den Einsatz von Bakterien handelt, nicht irgendwann und irgendwo im Organismus der Mädchen und ihrer Nachkommen weitere genetische Veränderungen mit möglicherweise schwerwiegenden gesundheitlichen Gefahren auslösen wird.
Hat Transhumanismus eine humanistische Perspektive?
Ich sehe in dieser Philosophie und Praxis im Bereich der gentechnischen Eingriffe die Anmaßung, über das Wohl und Wehe allem Lebendigen auf diesem Planeten zu entscheiden, zu herrschen. Hat ein Mensch mit Trisomie 21 zukünftig noch das Recht, das Licht der Welt zu erblicken oder nicht? Aus transhumanistischer Sicht ist ein solches Leben nicht sinnvoll. Krankheit, auch eine Behinderung, eine wie auch immer geartete Beeinträchtigung sowie Armut erscheinen im transhumanistischen Denken als Unglück, das es zu verhindern gilt. Die Armutskonzepte der Transhumanist*innen bestehen in der Reduzierung der Fruchtbarkeit der Armen.
Ein weiterer, nicht ungefährlicher Aspekt transhumanistischer Ziele ist die Emanzipation des menschlichen Organismus von der ihn umgebenden Natur. Das heißt, wir sind nicht Teil des Gewebes des Lebens, sondern Herrscher*innen darüber. Die menschliche Spezies, aus dem Schoss einer Mutter geboren, ist in der Weltsicht der Transhumanist*innen eine risikoanfällige Version, die optimiert werden muss. Schon heute wird in der Reproduktionsmedizin zunehmend die Intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI)5 eingesetzt, bei der ein im Mikroskop besonders vitales und gesund erscheinendes Spermium in ein ebenso begutachtetes Ei penetriert wird. Gebärmuttertransplantationen, die Anmietung einer Leihmutter und Eizellkauf sind heute für den reichen Teil der Welt möglich. Dass mit jeder menschlichen Keimzelle auch epigenetische Themen und Traumen weitergegeben werden, spielt im Denken von Menschen, die im Transhumanismus die Lösung unserer Probleme auf der Welt sehen, keine Rolle. Und natürlich sind die Verbindungen von Menschen zu anderen Menschen, zur Natur, und letztlich eine spirituelle Weltsicht Störfaktoren für die Erreichung transhumanistischer Ziele.
Ein Schritt zum optimierten Menschen ist das aktive Implantat
Die Transhumanisten sprechen davon, ihr Ziel die technische Erweiterung des menschlichen Körpers. Die Betrachtung dessen, was die Transhumanist*innen (wobei es sich offensichtlich weitgehend um Transhumanisten handelt) bereits an Hilfestellungen bei Erkrankungen oder auch sonstigen Lösungsmöglichkeiten für Fragen der Menschheit offerieren, jagen mir Schauer über den Rücken. Eine der Firmen, die sich dem neuen Zukunftsmarkt der sogenannten aktiven Implantate zugewandt hat, ist die Firma Second Sight. Die Firma hat ein solches aktives Implantat entwickelt und bereits einer größeren Anzahl von Menschen implantieren lassen. Dabei wird Menschen, die aufgrund einer derzeit nicht heilbaren Erkrankung wie der Retinitis Pigmentosa das Augenlicht verlieren, ein Chip ins Auge implantiert. Um gegenständliches Sehen, zumindest die Umrisse, wieder zu ermöglichen, braucht der erblindete Mensch eine Brille, in die eine Kamera installiert ist und die die Bilder über einen Transmitter und eine zusätzlich getragene Videoverarbeitungseinheit drahtlos an das Implantat weitergibt. Das klingt toll und bei einer Erkrankung wie der Retinitis Pigmentosa, die unweigerlich zur vollständigen Erblindung führt, ein Hoffnungsschimmer. Für die Patient*innen in Deutschland jedoch eine Katastrophe, denn die Firma Second Sight hat den Kundendienst außerhalb der USA von einem Tag auf den anderen beendet.6
Transhumanismus – ein Risiko für die Menschheit
Ein solches Desaster wie mit der Firma Second Sight ist, meiner Meinung nach, allen transhumanistischen Projekten immanent. Denn Transhumanismus bedeutet, große Probleme der Menschheit, wie Klimawandel, Hunger, Kriege, Naturkatastrophen, Pandemien, Zunahme von schweren Erkrankungen wie Krebs in einer gefährlichen, unmoralischen und undemokratischen, ja geradezu feudalistischen Weise zu lösen.
Transhumanistische Lösungsansätze, die zum Teil bislang nur gedacht, zum Teil schon umgesetzt wurden, sind beispielsweise, Atomkraftwerke auf dem Mond zu installieren.7 Auch schon eine Weile in Diskussion, und über die wiederverwertbaren Raketen von SpaceX in greifbare Nähe gerückt, ist die kommerzielle Nutzung der Rohstoffe des Mondes. Und dies, obwohl der Mond dadurch irreversibel geschädigt würde mit vermutlich gravierenden Konsequenzen für die Lebensbedingungen auf unserem Planeten und damit für die Menschheit.8 So wie es bereits in der Tiefsee ist. Im Frühjahr/Sommer 2022 waren Menschen in Südostasien bedroht von dem tonnenschweren, unkontrolliert niederkommenden Weltraumschrott einer chinesischen Rakete. Verschiedenen Denkfabriken basteln schon seit Jahrzehnten an solchen „Lösungsszenarien“. Ihnen allen gemeinsam ist die völlige Abwesenheit einer demokratischen Öffentlichkeit, einem von vielen Menschen getragenen Mitdenken, Mitentscheiden. Es ist eine postfeudalistische Herrschaftsstruktur, in der sich eine gutausgebildete technische Elite befugt fühlt, über menschliches Glück und darüber, für wen es zu gelten hat, zu entscheiden. Nur werden im Postfeudalismus diese Strategien flexibler eingesetzt. Sie sind aber weit davon entfernt, die Lebensvorstellungen, die religiöse oder spirituelle Weltsicht Einzelner oder auch Gruppen zu respektieren. Die Mehrheit noch lebender indigener Gemeinschaften sind spirituell verbunden mit einer göttlichen Kraft und ebenso der Natur. Transhumanistische Vorstellungen missachten – und verachten vermutlich auch– eine solche Denkweise, eine solche Lebenshaltung.
Der Transhumanismus nutzt menschengemachte Katastrophen, um den geschockten Menschen die Alternativlosigkeit ihrer Lösungskonzepte zu suggerieren. Angesichts des drohenden Gasmangels wegen des Kriegs von Russland gegen die Ukraine werden alle Arten von Gespenstern aus der Vergangenheit wie die Atomkraft, der Braunkohleabbau usw. reaktiviert. Gleichzeitig ist zu lesen, dass Japan damit begonnen hat, radioaktives Kühlwasser aus Fukushima9 in unser aller, der Menschheit, Meere zu leiten. Wo soll es sonst auch hin?
Aneignung gehört zur Philosophie des Transhumanismus
Transhumanismus bedeutet die private Aneignung einer von uns und unseren Nachkommen bewohnten Welt, denn Risiken, die durch dessen technische Lösungen entstehen, werden der ganzen Menschheit und ihren Nachkommen ungefragt aufgebürdet. Das Einleiten von Tonnen radioaktiven Wassers ins Meer erhöht weltweit die radioaktive Belastung bis in eine unendliche Zukunft. Rund um Tschernobyl und Fukushima wird bis in die Ewigkeit kein Mensch mehr leben können.
Das Recht auf Aneignung der Welt betrifft jedes Lebewesen und die gesamte Natur. Im Februar des Jahres 2022 klagte ein Ärztekomitee für verantwortungsvolle Medizin gegen Neuralink und Elon Musk wegen brutaler Tierversuche. Mit einer hohen Finanzspritze von Neuralink wurden an der University of California Gehirnversuche an Affen unternommen. Dabei wurden den Tieren Teile ihres Schädels entfernt. Die Stahlpfosten, die ihnen ins Gehirn geschraubt wurden, führten zu schrecklichen Gesichtstraumata und Krampfanfällen, die die Affen nicht überlebten, oder sie so dahinvegetierten ließen, dass sie getötet wurden mussten. Ich wüsste keine Entschuldigung für ein solches Verbrechen.10
Die Ökonomisierung der Medizin fördert das Gefühl des Getrennt-Seins
Unsere Medizin wird mehr und mehr ausgerichtet auf ökonomische Ergebnisse. Auch die neoliberale transhumanistische Philosophie hinterlässt Spuren in der Medizin insbesondere seit mit der Möglichkeit der Genschere Eingriffe in das menschliche Erbgut möglich werden. Der Fokus der transhumanistisch geprägten Medizin liegt immer weniger darauf (oder lag nie besonders darauf) ein Umfeld zu schaffen, in dem Menschen seelisch, geistig und körperlich gesund heranwachsen und leben können. Ein solches Umfeld erfordert eine intakte Umwelt. Mit der Klimaerwärmung wird zunehmen erfahrbar, dass wir auf einem wärmer werdenden Planeten schlechter leben können. Der Klimawandel und der immer massivere Raubbau an der Natur sind die Ursachen für eine Zunahme von Erkrankungen und stehen auch im Verdacht, der Corona-Pandemie Vorschub geleistet zu haben. Die Medizin ist weitgehend auf die Optimierung der individuellen Person ausgerichtet und ist vor allem adressiert an Bevölkerungsgruppen reicher Länder. Aber selbst in den reichen Ländern wird die Gesundheitsversorgung beispielsweise in der Kinderheilkunde und Geburtshilfe immer mehr reduziert, da sie sich ökonomisch gesehen nicht rechnen.11
Neben der Gewinnorientierung in der Medizin ist die Angst vor der eigenen Endlichkeit treibende Kraft in der Medizinforschung. Nicht umsonst werden gerade große Geldsummen in die mRNA-Forschung gesteckt, in der Hoffnung, den Tod zu besiegen. Selbstverständlich geht es um die Überwindung des Todes weniger Reicher, mächtiger Menschen, wohingegen der Hungertod von Kindern im Jemen und anderswo, der Tod durch Ertrinken im Mittelmeer von Geflüchteten auf taube Ohren stößt – obwohl es da möglich wäre, viele Leben sofort zu retten.
Die Pandemie-Bewältigungsstrategie hat transhumanistische Züge
Der Umgang mit der Corona-Pandemie hat uns einen Vorgeschmack gegeben, wie zukünftig Krisen gelöst beziehungsweise welche Strategien zur Krisenlösung eingesetzt werden. Ob dieses Krisenmanagement auf die Dauer eine gute Lösung für die Menschheit und unseren noch blauen Planeten ist, darf bezweifelt werden. Bei der Corona-Pandemie war (und ist) das Motto, dass die Impfung mit einem neuartigen gentechnisch hergestellten Impfstoff durchgesetzt werden sollte. Kritik wurde und wird in den Wind geschlagen, Kritiker*innen diffamiert und ausgegrenzt. Die Impfung wurde als einzig möglicher Ausweg aus der Pandemie dargestellt, obwohl es schon recht bald klar war, dass sie weder vor Ansteckung noch vor der Weitergabe des Virus schützt. Kurz- und langfristige Lösungsmöglichkeiten in Bezug auf diese und weitere Pandemien, beispielsweise ein Ende des Raubbaus an der Natur, den verbliebenen Regenwäldern dieser Erde, ein Ende der brandgefährlichen Gain-of-function-Forschung13 oder nachhaltige Ideen, die vulnerable Bevölkerung gut zu schützen, waren und sind nicht gewünscht. Gewünscht sind ausschließlich Lösungsstrategien, die gleichzeitig das kapitalistische Gewinnmaximierungsmodell nicht antasten. Oft steht der Schutz dieses Modells an oberster Stelle.
Über die Gefährlichkeit oder auch die lebensrettende Möglichkeit der mRNA-Impfung ist schon viel geschrieben und gesagt worden. Der Eingriff in das Informationssystem unserer Gene ist eine Reise mit ungeklärtem Ausgang. Gleichzeitig ist ungeklärt, wer dabei wie viele Risiken zu tragen bekommt. Beispielsweise gibt es einen Dissens unter Wissenschaftler*innen, ob die genetisch manipulierte mRNA grundsätzlich nach kurzer Zeit abgebaut oder doch in einigen Fällen in die DNA transkribiert wird. Es ist unklar, ob, bezogen auf die Menschheit, der Nutzen die Schäden überwiegt. Das nimmt nichts davon weg, dass die Impfung für gefährdete, gesundheitlich angeschlagene oder alte Menschen durchaus eine Option darstellt und möglicherweise vielen Menschen das Leben gerettet hat.
Die Machis in Chile
Eine solche, gewissermaßen seelenlose Medizin, die sich weigert, zu sehen, dass wir alle einen ganzheitlichen Blick wert sind, vergibt einen großen Teil ihres Heilungspotentials. Vor kurzem erzählte eine in Chile geborene Musikerin in einer Radiosendung über das Verhältnis von wissenschaftlich begründeter Medizin und schamanischer Heilkunst der Mapuche in Chile, die dort überwiegend von Frauen, den Machis, ausgeübt wird. Sie erzählte, dass Menschen, die sich einen Knochen brechen, selbstverständlich ins Krankenhaus gehen, um dort von Ärzt*innen behandelt zu werden. Und dann gehen sie anschließend noch zur Machi. Wenn man sie fragt, warum sie denn zusätzlich zur Machi gehen, sagen die Leute: „Der Arzt hat meinen gebrochenen Knochen behandelt. Aber nur die Machi kann mir sagen, warum ich ihn mir gebrochen habe und was ich tun muss, dass es sich nicht wiederholt.“
Wir lösen die großen Probleme nur gemeinsam
Mich erinnert das neoliberal und transhumanistisch geprägte Medizinkonzept an die Herangehensweise in Bezug auf den Klimawandel: angefangen von der Idee mit den Verschmutzungsrechten bis dazu, CO2 im Meer zu speichern anstatt damit aufzuhören, Wälder abzuholzen und Kaminschlote ungehindert weiter die Umwelt verschmutzen zu lassen. Bereits vor dem Krieg gegen die Ukraine und der dadurch ausgelösten Energiekrise hat die Gates-Stiftung, von der grünen Jugend aufgegriffen, angesichts des Klimawandels über die Alternativlosigkeit der Atomtechnologie nachgedacht: Man müsse eben nur kleinere, moderne Atomkraftwerke bauen mit einem besseren Sicherheitsstandard. Das erinnert an Elon Musk, der, anstatt nachhaltige Ideen für die Bewohnbarkeit der Welt zu entwickeln, lieber den Bewohner*innen von Brandenburg das Grundwasser abgräbt für seine Tesla-Fabrik und gleichzeitig mit SpaceX die Eroberung des Weltalls vorbereitet für eine Zeit, in der menschengemacht unerträgliche Lebensbedingungen auf unserem Planeten entstanden sind.
Da zeigt sich, meiner Meinung nach, eine transhumanistisch orientierte Politik. Die 7,7 Milliarden Menschen werden nicht gefragt, wenn sich einige wenige anmaßen, zu bestimmen, wie das Leben zu sein hat. Ganz besonders die indigenen Völker haben keinerlei Mitspracherecht darüber, wie wir, die Menschheit, leben, unsere Nahrung anbauen, mit unserer Umwelt, den Tieren und den Pflanzen umgehen. Diese Erde ist aber auch ihre Erde, das Zuhause von 7,7 Milliarden Menschen, das da auf dem Altar dem Mammon geopfert wird. Von all den anderen Lebewesen will ich angesichts eines unfassbaren Artensterbens gar nicht sprechen.
Transhumanismus ist eine empathielose, psychopathische Lösungsstrategie
2015 veröffentlichte der angesehene Neurowissenschaftler James Fallon12 ein Buch, in der er eine Erkenntnis über sich der Welt mitteilte. Er hatte immer wieder Gehirnscans von Serienmörder untersucht. Im Rahmen einer Alzheimer-Studie fiel ihm dabei ein anonymisierter, für Serienmörder typischer Hirn-Scan auf. Er hatte immer wieder auch anonymisierte Hirnscans seines sozialen Umfeldes unter die zu untersuchenden Scans gemischt, und stellte zu seiner eigenen Überraschung fest, dass es sich dabei um sein eigenes Gehirn handelte. Bei Hirnscans von Serienmördern zeigen sich eine sichtbare Empathielosigkeit und Hinweise, die für eine erhöhte Gewaltbereitschaft sprechen. Die Frage war jetzt, wieso er ein angesehener Wissenschaftler und kein Serienmörder geworden war. Im Austausch mit seiner Frau, anderen Familienangehörigen und Freund*innen hörte er, dass sich alle seiner verstärkten Risikobereitschaft und einem Mangel an Empathie bewusst waren. So brachte er beispielsweise seinen Bruder dazu, mit ihm in der Höhle zu übernachten, wo Fledermäuse lebten, die als Überträger der Zoonose HIV vermutet werden. Fallon beschrieb seinen für Psychopathen charakteristischen Wesenszug, andere Menschen ungefragt Risiken auszusetzen, selbst lebensgefährlichen Risiken.
In seinem Buch hat er sehr anschaulich beschrieben, dass ein gut eingebundener Mensch mit psychopathischen Charakterzügen eine durchaus wichtige Rolle in der Gesellschaft einnehmen kann. In Krisensituationen wie bei Naturkatastrophen kann ein gewisser Mangel an Empathie die Person befähigen, kühl und strategisch zu denken und schnellstmöglich Lösungsmöglichkeiten für die ihm/ ihr anvertrauten Menschen zu entwickeln. Wenn aber politisch und wirtschaftliche Verantwortliche nicht verbunden mit den anderen Geschöpfen dieser Erde Lösungen überlegen, kommt es zu Polarisierung, Streit, Krieg, dem Abbau von Demokratie und der Zerstörung unserer Erde. Das soll jetzt nicht heißen, dass alle politisch Verantwortlichen, Wissenschaftler*innen, Mediziner*innen empathielos seien oder eine transhumanistische Weltsicht haben. Aber in unserem kapitalistischen und sehr leistungsbezogenen System ist Vereinzelung, Angst vor dem Versagen und der Wunsch, sich zu optimieren, für viele Menschen das täglich Brot. Aus diesem Grund sind wir auch mehr oder weniger manipulierbar und blind für die Ungeheuerlichkeit, die in der kapitalistischen Aneignung steckt.
Verbunden-Sein ist die nachhaltigste Lösung
Die Frage, die sich James Fallon selber stellte, war: Warum berichtete sein soziales Umfeld unisono, dass sie sehr gerne in seiner Umgebung seien, da er charmant und unterhaltsam sei, jedoch immer auch in einer gewissen Habachtstellung, denn bei ihm wisse man nie, in welche unangenehme, vielleicht auch gefährliche Situation man durch ihn hineingezogen werden könnte. Was hatte ihn davor bewahrt, zum Mörder zu werden? Sein Fazit war, dass es seine liebevolle Umgebung war, eine behütete Kindheit, Eltern, die mit ihm verbunden sind. Er fragte sich am Ende des Buches, was wohl aus ihm geworden wäre, wenn er nicht in dieser Weise gut verbunden gewesen wäre mit seinem sozialen Umfeld?
Warum sich dennoch in einem zugewandten Umfeld ein Mensch mit einem Mangel an Empathie entwickelt, ist eine offene Frage, und ein Teil einer Antwort könnte darin liegen, dass erlebte Traumen unserer Vorfahren epigenetisch weitergegeben werden, wie auch traumatisierende Erfahrungen während der Geburt.
Gewalt unter der Geburt ist eines der folgenreichen, aber tabuisierten Themen in unsere Gesellschaft. Jedenfalls scheint Bindung das wichtigste Heilmittel zu sein, um psychische Erkrankungen und psychopathische Persönlichkeiten zu verhindern.
Leider prägt uns Menschen im reichen industrialisierten Norden unsere Sozialisation in einer Weise, dass wir gar kein Gefühl dafür haben, wie krank die Lösungsstrategien des Transhumanismus sind. Anstelle von Mitgefühl zu unseren Mitgeschöpfen behauptet der Transhumanismus das Recht, die Lebensbedingungen aller zu bestimmen und gegebenenfalls gewaltsam durchzusetzen. Wie kann es zu so einer Haltung von Menschen zu ihren Mitmenschen kommen? Ein Mangel an Empathie entsteht durch einen Mangel an Bindung, an Verbunden-Sein.
Gewalt unter der Geburt fördert den Mangel an Verbundenheit – Mangel an Verbunden-Sein fördert einen Mangel an Empathie
Die an technischen Lösungen orientierte Medizin führt in der Geburtsmedizin dazu, dass viel in den Geburtsvorgang eingegriffen wird. Mehr und mehr sprechen Betroffene davon, traumatisiert zu sein von der erlebten Gewalt unter der Geburt. Ein sehr verbreiteter Eingriff ist die Verabreichung des wehenbeschleunigenden und schmerzreduzierenden Hormons Oxytocin, einem Hormon, dass die Bindung fördert. Es wird unter der Geburt, bei angenehmem Hautkontakt, beim Stillen und bei einem Orgasmus in kleinsten Dosen ausgeschüttet und fördert das Verbunden-Sein. Wenn es jedoch zur Beschleunigung der Geburt eingesetzt wird, geschieht dies als Überdosis – die natürliche feinregulierte Pulsation des Hormonausstoßes ist medikamentös nicht möglich. Die Überdosis führt dazu, dass die Rezeptoren an der Gebärmutter innerhalb von Minuten und Stunden abgebaut werden – irreversibel. Gleichzeitig ist auch das Kind im Geburtsprozess einer massiven Oxytocin-Überdosierung ausgesetzt. Folgen können Autismus und Angststörungen beim Kind und postnatale Depressionen bei der Mutter sein.14 Die liebevolle Begleitung einer Gebärenden durch Hebammen, Doulas und vertraute Menschen ist dagegen eine wunderbare Investition in Mütter, Kinder und letztlich eine Gesellschaft, die in Verbindung ist.
Verbunden-Sein heilt und baut Brücken
Wichtige negative Erfahrung der Corona-Pandemie waren, dass die Angst vor der Erkrankung oder die staatlichen Vorschriften ähnliche Empfindungen in uns allen auslösten: sich ausgeschlossen und abgeschnitten zu fühlen, nicht gesehen zu werden. Wichtige positive Erfahrungen waren: im Kreis zu sitzen mit all unseren Unterschieden, uns zuzuhören, das Leid der anderen anzuerkennen und wieder in Verbindung zu kommen, verbunden zu sein. In einem Raum des Verbunden-Seins kann sich der Transhumanismus nicht verbreiten. In einem Raum des Verbunden-Seins kann Polarisierung überwunden werden.
Fußnoten & Literatur
- Vgl. Schmidt, Volker: Wie viel Menschen kann die Erde tragen – Kann die Überbevölkerung uns vernichten? www.zeit.de; 26.7.2013
- Vgl.: Weltbank, UNO und WHO – Zwangssterilisation und Zwangsgeburtenkontrolle. www.netzfrauen.org; 4.2.2016
- Anmerkung: Definition Transhumanismus: https://www.juraforum.de/lexikon/transhumanismus, abgerufen am 4.8.2022, 18:56, vgl. Boris Häußler: Verbesserte Menschen – Die vielleicht gefährlichste Idee der Welt. www. sueddeutsche.de; 8.6.2013
- Anmerkung: Crisp-Cas 9 ist eine molekularbiologische Methode, um Genabschnitte gezielt schneiden und damit die Erbinformation verändern zu können.
- Anmerkung: ICSI, die intracytoplasmatische Spermieninjektion ist eine Methode in der Reproduktionsmedizin, bei der ein einzelnes Spermium mit Hilfe einer sehr feinen hohlen Glasnadel direkt in die Eizelle gespritzt wird.
- Vgl.: Brühl, Jannis: Allein im Dunkeln. Süddeutsche Zeitung; 23/ 24.7.2022, S.34
- Vgl.: Vystrcil, Fransiska: NASA will Atomkraft auf dem Mond bauen, www.bw24.de, 5.1.2022
- Helmi, Jara: Im Weltraum droht der nächste große Konflikt. https://www.watson.ch/wissen/interview/231482934-50-jahre-mondlandung-im-weltraum-droht-der-naechste-grosse-konflikt; 19.7.2019
- Vgl.: Fukushima: Das Meer als perfektes Endlager für Atommüll. www.dw.com; 11.3.2021
- Vgl. Stehl, Tobias: Tödliche Gehirnversuche an 23 Affen: Elon Musk muss sich jetzt verantworten; 14.2.2022
- Vgl. Lobenstein, Caterina: Die Krankenindustrie. Die Zeit; 25.8.2022; S.15 – S.17
- Fallon, James: Der Psychopath in mir. Herbrig Verlagsbuchhandlung 2015
- Anmerkung: Gain of function ist ein Bereich der medizinischen Forschung, bei der die Gene von Viren ansteckender und für Menschen gefährlicher gemacht werden. Eine solche Forschung fand beispielsweise an Coronaviren bis zum Ausbruch von SARS-Cov2 am Wuhan Institut statt.
- Dokumentarfilm von Carola Hauck: Die sichere Geburt – Wozu Hebammen?